Mangel und Überfluss
Im Deutschland des Jahres 2021 leben wir in einem Überfluss an Waren, die in den Geschäften um uns herum aufgestapelt sind und uns zuzurufen scheinen: „kauf mich!“ Die vielen Wahlmöglichkeiten führen zu Entscheidungsstress, es häufen sich unfassbar viele Dinge in überfüllten Haushalten an, es entstehen Müllberge von Verpackungsmaterial: alles Luxusprobleme mit schlimmen Folgen für unseren Planeten. Die Natur hat ein anderes Lebensmodell, ihr natürlicher Zustand ist der Mangel. Pflanzen erzeugen durch Photosynthese Nährstoffe, saugen mit ihren Wurzeln Mineralstoffe aus dem Boden, füttern pflanzenfressende Lebewesen, die wiederum als Futter für fleischfressende dienen. Abfallstoffe, vergangenes Leben wird von den Lebewesen des Bodens aufgespalten und zerkleinert und so lange verwertet, bis auch das letzte Molekül noch für ein Bakterium einen Wert hat. Jeder kleinste Rest an Nährstoffen findet einen Verwerter. Lässt man die Natur arbeiten, erzeugt sie in wunderbarer Weise einen Kreislauf des Lebens. Es gibt keine Abfallberge, keinen Diabetes und Übergewicht bei wildlebenden Tieren. Zivilisationsmüll und Zivilisationskrankheiten können den Prozess allerdings gewaltig stören, wie wir am Klimawandel sehen können. Kohlenstoff, das Schlüsselelement natürlicher Kreisläufe, befindet sich in einem kleinen mobilen Speicher in der Atmosphäre, vorrangig als CO2. In der vorindustriellen Zeit lag der Anteil des CO2 bei 280 ppm, jetzt finden wir dort bereits 400 ppm aufgrund der Nutzung fossiler Brennstoffe. Wie wir alle wissen, geht das nicht mehr lange gut. Und wenn man über den Tellerrand schaut, dann sieht man, dass unser Überschuss an Waren nur dadurch entstehen kann, dass an anderen Stellen des Planeten andere Menschen Mangel leiden. Diese Zusammenhänge genau zu erklären, geht über den Rahmen dieses Artikels hinaus. Aber sollten wir nicht darüber nachdenken, uns vom Gedanken des immerwährenden Wachstums zu entfernen? Ein bescheideneres Leben, mit Nutzung der Ressourcen aus der Umgebung, mit Lebensmitteln aus der Region, mit Nutzung des eigenen Gartens erspart Entscheidungsstress. Ein Komposthaufen füttert natürliche Lebenskreisläufe. Ein Pullover aus reiner Wolle wärmt besser als einer aus Polyester. Viele Dinge kann man gemeinsam nutzen im Sinne von Allmende. Brauchen wir wirklich noch die 15. Hose, in Bangladesch für Hungerlohn genäht und unter Verschmutzung des Wassers gefärbt? Oder das 20. Paar Schuhe? (HF)